Dortmund, Nazis, das Video und die Folgen

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Antisemitismus / Demonstrationen / Die Rechte / Dortmund
Neonazis auf einem garagendach während einer Demo mit Bengalischen feuer in der Hand

Als ich die Ankündigungen der Dortmunder Nazis las war für mich klar, das ich, wie ich das immer mache, darüber berichte. Die Demo also begleite, einige Videos mache und wenn es sich ergibt etwas Live streame und vielleicht auch ein bisschen erzähle. Alles wie immer also, es sollte anders kommen.

Mir war schnell klar, dass in der Kürze der Zeit kein nennenswerter Gegenprotest auf die Beine gestellt werden kann, dass es am Ende keinen gab, dazu später noch etwas mehr. Das bedeutete für mich auch eine andere Gefahrenprognose für mich ganz persönlich. Aus dem Grund war ich froh, dass ich mich mit Christof Voigt vom WDR zusammen tun konnte, wir also schon mal zwei waren die die Demo begleiten und dokumentieren.

Ich wurde bei Twitter wie üblich gefragt ob es Gegenprotest geben wird was ich nicht beantworten konnte. Aus dem Grund habe ich dann öffentlich geschrieben, dass Menschen die dort hinfahren möchte um sich das anzuschauen sehr vorsichtig sein sollen. Das ist immer eine gute Maßnahme, aber in Dorstfeld, was Nazis als ihren „Kiez“ bezeichnen aber noch mal besonders wichtig. Zwei Menschen haben sich nicht abhalten lassen nach Dorstfeld zu fahren, dass stellte sich als Glücksfall für Christof und mich heraus. Sie begleiteten uns und waren, während wir filmten und twitterten, unsere Augen auf die Nazis.

In Dorstfeld angekommen, Startpunkt der Nazis sollte der S-Bahnhof Dorstfeld sein, fiel uns sofort die Anzahl der Polizei auf – gegen Null. Es stand ein PKW mit Zivilpolizei dort und vier Motorradpolizisten, die Demos begleiten um Straßen abzusperren und so Verkehrssicherheit für Teilnehmende herstellt. Normal. Nicht normal war das Fehlen einer oder mehrerer Hundertschaften. Die mit Knüppeln und weißen Helmen im Gepäck.

Nach sichten des Startpunktes gingen wir, noch zu zweit, auf unsere beiden Begleiter*innen sollten wir erst am Wilhelmplatz treffen, zu dem wir uns nun auf den Weg machten. Auf dem Platz selbst waren mittlerweile bis zu 50 Nazis versammelt. Völlig alleine stehend, keine Polizei und wenn nur umherfahrend im PKW. Das alleine war schon ein Novum und wir waren erstaunt. Um ca. 19:20 Uhr setzten sich dann die mittlerweile 70 Nazis in unsere Richtung in Bewegung, um zum Startpunkt S-Bahnhof zu gehen. Schon an der Stelle wären krasse Übergriffe auf uns möglich gewesen und es wäre keine Polizei dort gewesen um wie auch immer einzugreifen. Der Beginn, einer mehrstündigen Polizeieinsatz-Katastrophe. Ich kann und werde das nicht anders nennen.

Wir wechselten die Straßenseite, mittlerweile zu viert und gingen ebenfalls zum Startpunkt der ersten, für 19:30 Uhr angesetzten Demo der Nazis. Erste kleine Pöbeleien in meine Richtung, sie riefen meinen Namen, hauten Sprüche raus, manche sagen „Hallo Robert“. Nichts Besonderes. Also für mich.

Michael Brück eröffnete die Demo mit dem Verlesen der Auflagen und nur fünf Minuten später setzten sich die Nazis in Bewegung, um ihre erste Demo an diesem Tag durch „ihren Kiez“ Dorstfeld durchzuführen.

Demo, Medien und Reaktionen

Es wurde im Nachgang viel darüber diskutiert wie viel Polizei denn nun wirklich vor Ort war und über Zahlen spekuliert. Und auch ich muss spekulieren, weil Einsatzkräfte die angeblich laut einer Pressemitteilung im Falle einer Eskalation hätte gerufen werden können waren nicht dort, nicht sichtbar und können auch nicht eingreifen wenn etwas passiert. Mein erster Livestream vom Tag zeigt die Demo in Gänze und dort lässt sich das mit der Nicht-Polizeibegleitung gut erkennen.

Ich bleibe bei meiner grundsätzlichen Kritik an dem Einsatz der Polizei, mit viel zu wenigen Kräften vor Ort gewesen zu sein. Wir reden immerhin von bis zu 100 aggressiven und gewaltbereiten Nazis, die zu jedem Zeitpunkt hätten eskalieren können. Die Aussage der Polizei man hätte im Falle der Eskalation weitere Kräfte (Wo waren denn die?) zur Verfügung ist in meinen Augen reine Kosmetik und als Imagekampagne zu sehen. Ich erwarte, dass dieser unsägliche Vorgang im Nachgang hinreichen aufgeklärt wird.

Es geht dabei nur bedingt um meine eigene Sicherheit, bzw das was man als Sicherheitsgefühl bezeichnen kann. Ich stelle mir nur mal vor, wie es sich z.B. in Marten, dem Ort der zweiten Demo, für migrantisch aussehende Menschen anfühlen muss diesem Mob nichtsahnend in die Arme zu laufen und das ohne sichtbare Polizeikräfte. Wenig besser ist es, auf seiner Garage Nazis mit Fackeln stehen zu haben … Das hat nichts mit dem Rufen nach der Polizei zu tun, sondern das ist verdammt nochmal deren Job.

Alles Weitere, wie die widerliche antisemitische Parole „Wer Deutschland liebt ist Antisemit“ und das Zünden von Bengalos und krassen Knallkörpern ist ja ausreichend auf vielen Plattformen gezeigt und besprochen worden. Das werde ich hier nicht alles noch mal aufwärmen. Erwähnen möchte ich aber, dass das für Kenner*innen der Naziszene in Dortmund nichts neues ist. Antisemitische Parolen skandieren sie schon seit Jahren. Der Unterschied zu jetzt ist wohl eine gesteigerte Sensibilität im Umgang mit dem Thema.

Stellvertretend möchte ich nur einen der vielen Artikel aufgreifen, die Material von mir verwendet haben. Zuerst hatte ich ein Gespräch mit „Der Westen“ und zu guter Letzt noch den, wie ich finde guten Zusammenschnitt mit Untertiteln, von „Der Spiegel“.

Gegenprotest und Zivilgesellschaft

Es gab auch Kritik in den Netzwerken über den fehlenden Gegenprotest, den ich zum Teil nachvollziehen kann, aber mit Kenntnissen vor Ort ist die Situation eben auch speziell, sehr speziell, auch weil Dorstfeld.

Aktuell können wir das an genau diesem Beispiel festmachen. Diese beiden Demos der Nazis waren eine Reaktion auf sogenannte Polizeirepressionen am 15. September gegen sie. Dort störten sie, weil die Stadtgesellschaft eine Veranstaltung bzw. ein Demokratiefest veranstaltete. Als OB Sierau sprach haben sie Parolen gerufen und einige wurden in Gewahrsam genommen und bekamen Platzverweise. Das läuft da immer so. Seit Jahren. Nichts hat sich geändert. Alle die über Nazis in Dortmund berichten wissen das.

Meine erste Frage ist, wo waren denn diese Demokratiefestivalesen, wo war die Zivilgesellschaft die Nachbarschaftsfeste und ähnliches plant und durchführt, wo haben die gegen Nazis protestiert? Ich werde hier keine tiefgreifende Analyse durchführen, das kann ich auch gar nicht leisten, aber diese Frage muss gestellt werden und sie, die Stadtgesellschaft, muss sie sich gefallen lassen. Es reicht eben nicht schöne Reden zu schwingen, Flyer zu basteln und an runden Tischen aufzuklären. Nicht mehr.

Die Antifa™

Ja, auch ich habe mich am Anfang geärgert, hätte mir einen organisierten Gegenprotest gewünscht. Zum Beispiel auf dem Wilhelmplatz, wo Tage zuvor die Fahne der Demokratie hochgehalten wurde. Aber schon hier wird es schwierig. Alle Formen des Gegenprotestes, die abseits der stadtgesellschaftlichen Formen wie Händchen halten oder lustig bunte Kreide in die Luft werfen, werden kriminalisiert. Das sind die bösen aus dem schwarzen Block, die machen immer nur ärger, mit denen wollen wir nicht gemeinsam heiße es gerne.

Mein einschneidendes Erlebnis hatte ich, glaube es war 2016, in Schwerte. Dort fand eine Gegenkundgebung gegen die AfD, die ein sogenanntes Bürgergespräch abhielt, statt. Und die Anmelderin hatte nichts besseres zu tun, nachdem junge Menschen lautstark ihren Unmut bekundeten zur Polizei zu rennen und offiziell zu erklären, dass diese ‚schwarz gekleideten“ Menschen nicht zu ihrer Kundgebung gehören. Entsolidarisierung auf SPD-Niveau. Das ist die verdammte Realität.

Natürlich vergeht einem da irgendwann die Lust ohne jeglichen Rückhalt, gerade in dem sogenannten „Nazi-Kiez“, was auf die Beine zu stellen. Im schlimmsten Fall hat man sowohl die Nazis, die Polizei UND die Stadtgesellschaft gegen sich. Die „Antifaschistische Union Dortmund“, kurz „Audo“ hat dazu etwas geschrieben und auch Sebastian Weiermann hat auf Twitter einige Anmerkungen dazu, die man sich mal durchlesen kann sollte.

Wie weiter?

Ehrliche Antwort – ich weiß es nicht. Wünschenswert wäre ein Brückenschlag innerhalb der Stadtgesellschaft, also allen Antifaschist*innen, ein aufeinander zugehen. Ich kann beidseitig die Skepsis und Zurückhaltung aber gut verstehen, auch wenn es immer mal wieder Versuche gegeben hat diese Brücken zu überwinden, ist nichts Nachhaltiges daraus entstanden. Wir haben leider verdammt wenig Zeit uns zusammenzuraufen, nicht nur wegen der Erfolge der AfD.

Wir haben weit nach 12 …

In eigener Sache

Seit jetzt drei Tagen läuft mein Twitteraccount auf Hochtouren, knapp 2000 neue Follower*innen. Dabei auch viel positives Feedback. Das und vieles mehr motiviert weiter zu machen. Ich möchte nach dem Stressabbau hier die Gelegenheit nutzen, um euch allen wieder Danke zu sagen. Danke fürs Unterstützen, fürs Aufbauen wenn nötig und die Unterstützung, dass ich die Berichterstattung ehrenamtlich auch leisten kann. Danke!

Video

Als Special eine eigener Zusammenschnitt der Ereignisse, welche auch zeigen, dass die Nazis drei Mal Pyros zündeten. These: Wenn die Polizei gleich beim ersten Mal durchgegriffen hätte, wäre spätestens beim zweiten Mal die Auflösung der Versammlung an der Reihe gewesen. Konnte man aber nicht durchsetzen, weil zu wenig Einsatzkräfte vor Ort nech?…

Desweiteren gibt es zumindest in der ersten PM der Polizei den Hinweis das die Menschen die Pyros zündeten nicht aus der Versammlung heraus agierten „Die Pyrotechnik wurde außerhalb der Versammlung von mutmaßlichen Sympathisanten gezündet„.

Diese Darstellung ist falsch, nicht nur ich habe beobachtet, wie ein mir namentlich bekannter Nazi nach der Aktion auf dem Garagendach sich mit einem seiner Kameraden wieder in die Demo einreihte. Ich behaupte nicht, die Polizei würde absichtlich falsches behaupten, sie wissen es nicht besser, weil einfach nicht genügend Kräfte vor Ort waren um das zu registrieren. Ihr seht das Problem und das ist nur eine der Auwirkungen an dem Tag…

Update:

Drei Jahre nach der unsäglichen Demo in Marten sitzen nun 10 Angeklagte vor Gericht. Eine Besonderheit ist der Verhandlungsort. Weil im Landgericht Dortmund kein Saal die erforderliche Größe hat, wurde der Prozess in das Freizeizentrum West (FZW) verlegt. Ich war am ersten Tag dort, um mir ein Bild zu machen. Beiwohnen darf ich den ersten Prozesstagen allerdings nicht. Erst nachdem ich als Zeuge ausgesagt habe, werde ich als Beobachter den Prozess begleiten.

Ich habe mit dem WDR den Ort der „Bangalo-Show“ in Marten besucht und ein kurzes Gespräch vor dem FZW geführt.

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