Aktivismus? Was nun?

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Aktivismus / Allgemein / Antifa / Demonstrationen
Bild das mich beim Fotografieren auf einer Demonstration zeigt.

Der Titel ist etwas ungenau, aber es geht hier nicht um eine Definition von Aktivismus. Halten wir für den Augenblick einfach fest, dass viele Mischformen existieren. Angeregt durch Reaktionen auf einen von mir bei Twitter geschrieben Thread, möchte ich einige Gedanken mit euch teilen.

Bereits 2014 haben sich durch politische Betätigung damals noch für die Piraten Situationen ergeben, die ich so nicht vorhergesehen habe. Meine ersten Aktivitäten waren Teilnahme an Treffen von „Dortmund nazifrei“ und „Dortmund stellt sich quer“. Beides sind Bündnisse mit klarem Thema und personellen Überschneidungen.

Ja, ich hatte auch zuvor schon Berührungspunkte, diese beschränkten sich aber auf Teilnahme als Musiker bei Rock gegen Rechts Veranstaltungen und eines habe ich selbst organisiert. In den 90er-Jahren im Westfalenpark unter dem Sonnensegel. Das sind heute nur noch Erinnerungen.

Der Blog und die Entscheidung Klarname

Ich entschloss mich 2014 einen Blog ins Leben zu rufen und diesen mit meinem mit vollem Klarnamen zu führen. Mein Ziel war es, meine Gedanken aufzuschreiben und so was wie ein Tagebuch führen. Ich wollte meine politischen Aktivitäten dokumentieren. Es kam aber alles anders und ich bereue nichts.

Aufgrund meines Engagements wurde ich schnell zum Ziel von Dortmunder Nazis. Ende 2014/2015 gab es insgesamt vier Wellen von Todesanzeigen, in denen auch ich erwähnt wurde. Diese wurden in erster Linie über Twitter verbreitet. Einschüchterung war ihr Ziel. Im selben Jahr (2015) wurden zwei Hakenkreuze an das Haus, in dem ich wohne, geschmiert und ab da ging es Schlag auf Schlag.

Es folgten viele Anzeigen von Dortmunder Nazis, darunter auch mehrere von Michael Brück, deren Ziel es ebenfalls war, mich einzuschüchtern. Das ließ erst 2016/17 nach, weil es nicht fruchtete. 2016 war auch das Jahr, indem ich die Piratenpartei verließ und mein Fokus auf Berichterstattung über Naziumtriebe in Dortmund und NRW richtete. Seitdem veröffentliche ich meine Bilder mit dazugehörigem Begleittext auf Flickr.

Bedrohungen als Tagesgeschäft

Bedrohungssituationen finden quasi bei jeder Demo, die ich begleite statt. Sie Rufen meinen Namen, Pöbeln und Beleidigen. Dinge, die jede*r Aktive kennt. Erwähnenswert hier noch der Brief mit weißem Pulver im September 2019 und der wirklich krasse Morddrohung im Dezember 2020 (Triggerwarnung für den Text).

Der körperliche Übergriff auf einer Querdenken-Demonstration im August 2020 in Dortmund steht hier etwas abseits. Es war keine rechte Demo im eigentlichen Sinn, dennoch ist Oliver Flesch eine bekannte Größe im Universum der Neurechten und auch mit der AfD verbandelt. Das Verfahren läuft aktuell noch, ebenso wie das wegen der Morddrohung mithilfe von Sprachnachrichten.

Das war die Vorgeschichte und nun zum Eigentlichen. Die Grundfrage im oben erwähnten Thread war, was muss oder sollte ich beachten, wenn ich mich entscheide Aktivist*in zu werden? Kann ich mich vorbereiten, geht das überhaupt? Mit was muss ich rechnen und wer ist eventuell noch betroffen? Viele Fragen und ich werde sicher kein umfassendes Ergebnis erzielen. Halte es dennoch für wichtig, hier meine Eindrücke zu sammeln. Um Mut zu machen, aber auch den Selbstschutz nicht zu vernachlässigen.

Klarname, oder nicht?

Rückblickend ist mein erster Hinweis der, dass man sich Gedanken darüber machen sollte, ob man sprichwörtlich sein Gesicht zeigen will. Genauso legitim ist es, das nicht zu wollen. Denn mit Klarnamen zu agieren birgt immer das Risiko, auffindbar zu sein. Ich hatte mich für ein „offenes Visier“ entschieden. Mein Beweggrund entstand aus Solidarität. Mir war es wichtig, sichtbar zu sein, gerade weil ich es mir aussuchen konnte. Schwarze Menschen zum Beispiel haben diese Möglichkeit nicht, sie sind immer sichtbar. Können nicht in der Menge „untertauchen“, wie ich es als alter weißer Mann tun könnte.

Wenn man sich für Sichtbarkeit entscheidet, gibt es aber vieles zu bedenken. Im Falle wenn es zu Bedrohungsszenarien kommt, bin nur ich betroffen, oder werden andere in Mitleidenschaft gezogen. Familie und Kinder zum Beispiel. Es reicht also nicht nur Selbstschutz zu definieren, sondern mit Familie habe ich Verantwortung, selbst wenn diese erst in Zukunft geplant ist.

So können auch Texte im Netz ein Problem werden, bei einem Arbeitsplatzwechsel oder anderem. Das Arbeitgeber*innen während eines Bewerbungsprozesses Suchmaschinen nutzen, ist mittlerweile Alltag. Es gibt sicher noch viel mehr Pro und Contra.

Form des Aktivismus

Auch die Wahl der Aktionsformen will überlegt sein. Das Angebot an Möglichkeiten ist groß. Als ich 2015 über mehrere Wochen das Camp von syrischen Geflüchteten mitbetreute und viele Aufgaben übernahm, berichtete ich schon über Nazidemos. Diese Doppelbelastung hatte Folgen. Nachdem das Camp sich aufgelöst hat, bekam ich ein Aktivisti-Burnout. War komplett ausgebrannt, spürte mich nicht mehr. Ich hatte meine eigenen Bedürfnisse über Wochen komplett ausgeblendet.

Ich erlaubte mir dann einige Tage Urlaub, aber geholfen hatte das nicht. Ich musste und hatte eine Entscheidung zu treffen. Geflüchtetenhilfe oder Demoberichte. An dem Punkt war die Wahl nicht mehr schwer. Geflüchtetenhilfe ist weitaus anschlussfähiger für „die Mitte“. Mit Nazis auf Tuchfühlung gehen ist da eine andere Nummer, wie meine Beispiele im Einleitungstext aufzeigen.

Auch in Anhängigkeit der gewählten Aktionsform wird das Thema Repressionen wichtig. Mittlerweile zwei Ordner voller Schriftverkehr mit Gerichten, der Polizei und Anwält*innen. Darunter aber auch Sachen, die ich zur Anzeige gebracht habe. Dennoch, es dürften ca. 15 Anzeigen sein, bei denen ich anwaltliche Hilfe benötigte und das verursacht Kosten. Diese müssen bezahlt werden.

Allerdings gibt es auch Hilfsangebote. Verschiedene Organisationen und Vereine wie die „Rote Hilfe“ unterstützen auch finanziell. Bei konkreten Bedrohungen gibt es in Abhängigkeit vom Wohnort sogenannte Opferberatungsstellen. Hier möchte ich als Beispiel „Back Up NRW“ und die Opferberatung Rheinland“ erwähnen. Es gibt viele mehr. Alle leisten eine gute und wichtige Arbeit.

Trotzdem ist es gut, auf derlei vorbereitet zu sein. Erinnere mich noch gut daran, wie zitterig meine Hände gewesen sind, wenn ein Brief der Polizei oder der Staatsanwaltschaft auf meinem Tisch lag.

Alleine oder im Team

Es hat sich so ergeben, dass ich in der Regel alleine arbeite. Das war nicht immer so. Die erste Zeit war ich aktiv in Bündisarbeit eingebunden. Meine letzte Station war das Antinazi-Bündnis „BlockaDO“. Als Mitgründer und Namensgeber habe ich dort viel Selbstvertrauen erworben und echte Solidarität kennengelernt.

Mein Fokus auf Berichterstattung und Fotojournalismus führte zu inneren Konflikten, die ich für mich nur lösen konnte indem ich an einem Punkt die Bündnisarbeit zu den Akten legte. Ich freue mich sehr, dass BlockaDO fortbesteht und in Dortmund sehr wichtige Arbeit leistet.

Bei mir ist das alles so gewachsen oder es hat sich ergeben. Aber immer wenn ich gefragt werde, betone ich, dass es wichtig ist, nicht im luftleeren Raum zu agieren. Gerade beim Einstieg ist eine Gruppe ein Bündnis oder Ähnliches wichtig. Rückhalt und Rückzugsräume, Auszeiten, Gespräche, wenn Belastungen da sind. Das alles kann sehr aufreiben und es ist zerrt an den Kräften.

Was sich nach Jahren ergibt, kann kein Mensch wissen, aber gerade der Einstieg sollte nie alleine begangen werden. Der Wunsch, aktiv zu werden, ist begrüßenswert, aber das Abwägen, was, wo und wie ist wichtig. Gerade die Auseinandersetzung mit Nazis ist kein Spiel. Es gab mehrfach Situationen, in denen ich einfach nur Angst hatte. Seid vorbereitet.

Einen Wunsch hätte ich …

Es gibt kein Fazit. Zu lückenhaft sind meine Gedanken dazu zu wenig umfangreich meine Aufzählung. Dennoch, so hoffe ich, kann der Text anregen oder als Einstiegshilfe dienen.

Mein Wunsch an der Stelle:

  • Ergänzt den Text mit eigenen Erfahrungen oder Gedanken dazu
  • Teilt Links mit uns, die ihr wichtig findet

Schreibt das in die Kommentare. So schaffen wir einen noch größeren Einblick.

Linksammlung (unvollständig):

Back Up NRW

Opferberatung Rheinland

Opferfonds CURA – Amadeu Antonio Stiftung

Hate Aid

Rote Hilfe

Im Fokus von Neonazis. Ein Ratgeber für Betroffene und Unterstützer*innen

Artikelbild @infozentrale

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