Drei Tage danach …

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Antifa / Dortmund / In eigener Sache
Viele Einsatzfahrzeige der Polizei in einer Straße, die abgesperrt ist.

Viele haben es mitbekommen und für wen es neu ist eine kurze Zusammenfassung. Am 18. September, also vor drei Tagen, erhielt ich einen Brief der Vorgab vom Finanzamt zu sein. Das es Anzeichen gab, wie die Farbe des Umschlags, habe ich in dem Moment nicht realisiert. der Inhalt des Briefes war bis nach dem ersten Absatz auch inhaltlich so gestaltet, das es mir nicht aufgefallen ist. Beim auffalten des Papiers rieselte weißes Pulver auf den Boden und auf mein T-Shirt. Ich las den Brief wie gebannt zu Ende und legte ihn auf den Boden. Zog mein Shirt aus und legte es so über eine Sessellehne, das der Pulverfleck sichtbar war. Sicher wichtig für die Spurensicherung dachte ich.

Mir war sofort klar was passiert ist, wollte es nicht wahrhaben und habe gefühlt länger überlegt was zu tun ist. Ich denke es waren nur 10 Sekunden, es fühlte sich aber an wie eine Ewigkeit. Selbst wenn es ein Fake war und genau das stellte sich dann auch viel später heraus, gab es nur eine Lösung. Polizei informieren.

Was dann passierte kann ich immer noch nicht so ganz greifen. Ich erinnerte mich zwar, das es in Dortmund vor einigen Wochen schon einmal zwei Briefe mit weißem Pulver gab, aber auch das war zu weit weg. Es war für mich unbegreiflich, das es gerade auch mich erwischt hat.

Es dauerte vielleicht fünf Minuten und überall hörte ich das Heulen von Sirenen. Immer noch im Kopf der Gedanke, dass ist aber jetzt nicht wegen mir oder? Es klingelte, zwei Polizeibeamte kamen die Treppe herauf und blieben im Flur stehen und baten mich herauszukommen. Es war absolut korrekt das sie die Wohnung nicht betreten wollten. Ich zog Schuhe an und ging mit ihnen vor das Haus.

Zwei schwere Stunden

Vor dem Haus ging dann alles sehr schnell. Ich wurde isoliert, kein Mensch durfte zu mir. Zwei wirklich liebe Menschen aus dem Rettungswagen vom Roten Kreuz in Ganzkörperkondom, betreuten mich während der ganzen Zeit. Sie redeten mit mir. Das hat in dem Moment viel Druck raus genommen, wir haben sogar geflachst und gelacht. Das tat gut.

In der Zeit nach dem Anruf bei der Polizei und dem Eintreffen der Einsatzkräfte versuchte ich eine Freundin zu erreichen, ergebnislos. Dann rief ich meinen Freund vom WDR an, der ebenso wie ich über Nazis in Dortmund berichtet. Er kam dann und stand mir ebenfalls bei. Ab dem Zeitpunkt war mir dann auch bewusst, dass das eh alles öffentlich werden würde und erlaubte das Filmen und machte selbst Aufnahmen zur Dokumentation. Das ist das was ich tue, dokumentieren.

 

Vier Bilder die den Aufwand der Feuerwehr zeigt wie ABC-Station, Kranmkenwagen und mobiles Labor.

Die vier Bilder im Tweet, die den Aufwand des ABC-Alarms zeigen. © Robert Rutkowski

Mein erster Tweet nach Beendigung des Einsatzes gibt eine gute Zusammenfassung des Geschehens, rein bildlich. Die gesamte Straße war gesperrt, keiner durfte das Haus betreten, außer die Einsatzkräfte, und der Bereich vor dem Haus war mit Flatterband abgesperrt. Hier wurden Zonen eingerichtet. Eine schwarze Zone die für „kontaminiert“ stand und eine Weiße für „dekontaminiert“. Auch das ist die übliche Vorgehensweise, aber wenn du da mittendrin bist wirkt es wie ein Film. Ein schlechter Film.

Ich habe die Einsatzfahrzeuge nicht gezählt, aber 15 waren es sicher, darunter auch ein mobiles Labor.

In meiner Wohnung wurden die Spuren gesichert. Der Brief und das Shirt wurden eingetütet und in das Labor verbracht. Nach zwei Stunden kam dann die Entwarnung. Man könne nicht sagen um was es sich handelt, aber es ist definitiv kein Gefahrenstoff. Genau, so habe ich auch geguckt. Meine Erleichterung war spür- und hörbar. Alle Beteiligten waren erleichtert. Die Einsatzkräfte begannen mit den Aufräumarbeiten. Es folgte noch ein kurzes Gespräch mit zwei Beamten vom Staatsschutz, die, wie alle, einen professionellen Job gemacht haben.Alle haben an dem Tag einen guten Job gemacht, dafür möchte ich mich nochmal ausdrücklich bedanken!

Und ich so?

Ehrlich, ich weiß es nicht. Ich habe in den letzten drei Tagen zwei Einsätze gehabt und es war wahrscheinlich das beste was ich machen konnte. Vom in der Wohnung hocken und Grübeln wird auch nichts besser. Ich habe etwas Angst vor heute und morgen, also dem Wochenende. Wenn ich mit meinen Gedanken alleine bin. Die ersten beiden Nächte danach hatte ich nicht oder kaum geschlafen, viele Gedanken und Fragen gingen mir durch den Kopf. Das wird noch einige Zeit so bleiben schätze ich.

Auch weiß ich von Menschen, die nach solchen Aktionen ihr Engagement eingestellt haben, die sagen ich schaffe das nicht mehr und ich kann das sehr gut nachvollziehen, habe vollstes Verständnis dafür. Das werde ich definitiv nicht tun. Ich habe dahingehend schon zuviel erlebt. Es gab 2015 diese Todesanzeigen und Hakenkreuzschmierereien an meinem Haus. Das sind nur sogenannte „Highlights“. Den Hass der mir entgegenschlägt spüre ich täglich, sei es eine Mitteilung bei Twitter, oder einer der vielen Accounts die mich imitieren, Accounts die nur gebaut werden um mich zu beleidigen, Briefsendungen, Newsletter-Anmeldungen und vieles mehr. Die Liste ist schier endlos. Einiges sammle ich und das füllt mittlerweile einen Ordner. Mein Engagement ist alternativlos.

Erst gestern rief mir ein Nazi zu ich solle es machen wie meine Mutter und die Welt von mir erlösen (Content Note: Aufruf zu Selbstmord). Ja, so sind sie und auf die Frage warum ich immer weiter mache ist meine Antwort:

„Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, in der Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder was auch immer verfolgt und gehasst werden.“

Was hat mir geholfen?

Geholfen haben mir die vielen vielen solidarischen Bekundungen unter meinem Tweet, viele Direktnachrichten die mich erreichten, die vielen Mails, die Menschen, die bei Aktionen zu mir kamen und mir ihre Solidarität direkt bekundet haben. Dieses Mal hat es mich getroffen, gemeint sind wir aber alle.

Ich danke euch allen für euren Zuspruch. Das gibt mir Kraft weiter zu machen. Aufgeben ist keine Option.

2 Kommentare

  1. Robert sagt

    Eine Freundin von Twitter hat eine kurze Zusammenfassung des Geschehens und dem Weg dahin in Englisch verfasst. Danke dafür:

    On 18 Sep 2019, the German freelance antifascist journalist @Korallenherz received a letter containing white powder [1]. The journalist is based in the city of #Dortmund, the hotspot of far-right activities in Western #Germany.

    On 18 Sep 2019, the German freelance antifascist journalist @Korallenherz received a letter containing white powder [1]. The journalist is based in the city of #Dortmund, the hotspot of far-right activities in Western #Germany. He is widely known for observing and photo-documenting rallies and other activities of far-right groups.

    While opening and reading the letter, some of the powder fell on his shirt and on the floor. Police and NBC emergency forces arrived with c 15 trucks, incl a mobile lab, cordoned the area in front of his house off, quarantined the journalist, and dressed him in a „full-body condom“ [2]. After two hours, they received an all-clear: the powder had tested not to be toxic.

    On the same day, a protestant church in the city of #Hannover also received a letter with white powder. The central body of the protestant church in Germany, EKD, had recently declared to raise funds for a ship to save lives of refugees drowning in the Mediterranean Sea [1]. The letter to @Korallenherz was also not the first case in #Dortmund: In July 2019, two other journalists who frequently report on far-right groups in Germany had received such letters too [3]. Journalists reporting from rallies of the far-right, from AFD to Pegida and openly militant groups, are often being attacked and hindered in their work these days. The above cases are being treated as a politically motivated hate crime and under investigation.

    For @Korallenherz it was not the first time he has been threatened: In 2015, his house was defaced with large swastikas and a death notice was posted online [4]. A few days after he had received the letter, a Nazi called him and urged him to commit suicide. In spite of all this, he says: ‚Giving up the fight is not an option.‘ Sources:

    [1] T-Online
    [2] Robert Rutkowski
    [3] Tagesspiegel
    [4] Robert Rutkowski

  2. Jamila sagt

    100% Soli !

    ABER du musst auch an dich und deine Gesundheit denken.

    Mein Freund hat Ähnliches erlebt und nach einer längeren Pause geht es ihm jetzt wieder besser.

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