Heute erzähle ich eine Geschichte. Diese hat sich 2014 genau so zugetragen. Das ich diese seit jetzt sechs Jahren mit mir rumtrage ist das eine, sie hat aber seitdem auch maßgeblich mein Handeln und mein Menschenbild mitgeprägt. Das Erzählen ist mir wichtig. Ich hoffe auf eine Entlastung, der Vorfall nagt an mir, fortwährend.
Im beschriebenen Jahr hatte eine Gruppe von Menschen eine Kirche in Dortmund besetzt. Das Avanti-Zentrum. Ich habe diese Besetzung mit vielen anderen unterstützt, darüber auf Twitter berichtet und dazu einen kleinen Text geschrieben. Das ist nur am Rande wichtig, es ist die Einleitung.
Die Kirche wurde geräumt und es gab ein oder mehrer Nachtreffen, um das weitere vorgehen zu besprechen. Kleine Gruppe, kleine Location. Ich war zu dem Zeitpunkt Mitarbeiter von zwei Mitgliedern des Landtages der Piraten in NRW. Kommt mir vor als wäre es eine Ewigkeit her. Das woran ich mich am meisten erinnere, wenn ich daran zurückdenke sind die Schüsse auf das Büro, meinem Arbeitsplatz und das Protestcamp der aus Syrien geflüchteten Menschen (Protestbamfdo). Acht harte, aber auch erfüllende Wochen.
Eine Kirchenbesetzung
Während der Aufarbeitung der Kirchenbesetzung erreichte uns eine Nachricht das Dortmunder Nazis in Brackel eine Kundgebung durchführten. Es brach etwas hektik aus. Sollte man dahin fahren, wer will und wie. Ich wollte aufjedenfall, die Anreise mit Bahn hätte aber sehr lange gedauert und ich hörte, dass wer mit Wagen auch dorthin wollte. Was lag näher als zu fragen ob ich dort mitfahren kann. Im Nachhinhein ist mir klar, ich hätte es lassen sollen.
Die Stimmung kippte etwas, ich hatte das Gefühl es wurde getuschelt. Irgendwann kam dann wer zu mir und sagte sinngemäß, klar, du kannst mitfahren und fragte gleichzeitig ob es OK wäre, wenn ich einige hundert Meter vorher aus dem Wagen austeigen könnte. Man wolle nicht mit mir gesehen werden, weil dann die Nazis wissen das wir Linke (Anmerkung: ich glaube es wurde „Zecken“ gesagt, unsicher aber) sind. Info: Zu dem Zeitpunkt hatte ich mir auf Twitter bereits, zumindest bei den Dortmunder Nazis, einen gewissen Ruf erarbeitet. Überraschung!
Auf zum Gegenprotest
Ich war in erster Linie froh, dass ich eine Mitfahrgelegenheit hatte und habe in dem Moment null darüber nachgedacht bzw realisiert was da tatsächlich passiert ist. Erst als ich die letzten Meter, nachdem ich ausgestiegen war, alleine in Richtung Nazikundgebung gegangen bin wurde mir klar, da stimmt was nicht. Das kann so nicht richtig sein. Es fühlte sich falsch an.
Erinnern kann ich mich noch gut, es war kalt und es regnete. Miese Mischung. Die Ottos des Arbeitskreises gegen Rechts machten das, was sie immer tun. Banner hochhalten, Foto machen und weg. Ich glaube sie verzogen sich in die angrenzende warme Kirche. Wir anderen blieben draußen und pöbelten die Nazis an, ich twitterte.
Erst einen Tag später traute ich mich diese Geschichte wem zu erzählen. Wohl über diesen Umweg gelangte das auch an den*die damalige Fahrer*in. Im Auto selbst saßen wir allerdings zu viert. Immerhin wurde sich dann von einer Seite bei mir entschuldigt. Es sei nicht OK gewesen. Immerhin. Aber wäre diese Entschuldigung auch gekommen, wenn nicht wer anderes interveniert hätte? Ich wage das zu bezweifeln.
Von den beiden anderen kam nichts. Nie. Immer wenn ich sie sehe, das passiert in Dortmund bei Demos ja häufiger, bekomme ich Beklemmungen, ein Unwohlsein und Fluchtreflexe. Wichtig dabei, ich hasse die Menschen nicht, aber ebenso kann ich das was das mit mir gemacht hat wegleugnen. Es tut weh, jedes verdammte Mal wenn ich mich daran erinnere.
Solidarität
Das Thema Solidarität ist so wichtig. Und genau das Gegenteil davon ist passiert. Es war eine krasse, wenn nicht die krasseste Form der Entsolidarisierung.
Ich kann da nicht mit umgehen. Immer denke ich, dass sind diese Menschen, genau diese, die sich wieder hinter ihren Gardinen verstecken, wenn Menschen wieder aus ihren Häusern gezerrt werden. Sie werden niemals für dich oder andere einstehen. Man möchte schließlich keine Unannehmlichkeiten oder Nachteile für sich. Das ist so verdammt doitsch.
Toll was und wie du es machst, aber ich möchte nicht damit in Verbindung gebracht werden. Das ist genau das, was sie mir zu verstehen gegeben haben, was bei mir hängen geblieben ist. Das tut verdammt weh. Immer noch. Auch jetzt laufen mir die Tränen, der Wut, des Zorns aber auch der Ohnmacht und Hilflosigkeit angesichts des Geschehenen. Das Wissen du stehst am Ende alleine da. Es geht nicht um eine Opferrolle, es geht um das Faktum, dass es nicht reicht sich solidarisch zu nennen oder es irgendwo niederzuschreiben. Es geht darum wie wir handeln. Reden können Menschen den lieben langen Tag, am Ende, wenn es drum geht, ist das aber kein Wert ansich. Das was wir tun schon.
Fazit
Lasst die Heuchelei, predigt nicht Solidarität, wenn ihr nicht in letzter Konsequenz bereit seid diese auch zu leben. Das das so in linken Räumen passieren kann war mir damals unverständlich. Seitdem habe ich soviel Bigotterie, Arroganz und Heuchelei in „linken“ Kreisen erlebt das ich sage, wo Menschen sind ist auch Scheiße. Ohne Ausnahmen.
Kann es ein traurigeres Fazit geben?
Spannend wäre zu wissen wie das heute, sechs Jahre später aussehen würde Erst nach dem Vorfall erschienen die Todesanzeigen, hatte ich Hakenkreuze am Haus, oder wie im letzten Jahr den Brief mit weißem Pulver im Briefkasten … Aber wisst ihr was, ich werde das nicht testen.
Hallo Korallenherz,
wie gut ich Dich verstehen kann und Deine Gefühle bei dem Verrat, denn genau das ist es.
Ich habe mal mit einer Freundin darüber gesprochen, dass ich die Wegschauer, Profiteure usw fast noch schlimmer finde, als die Täter selbst.
Die Täter wären nämlich, wenn es diese Leute nicht gäbe, keine Täter. Würden sich alle Menschen klar positionieren und Täter direkt mit Gegenwehr und vor allem Gegenrede konfrontieren,,würden sie erkennen, dass sie etwas grundlegend überdenken und verändern müssen.
Ich komme aus einer Missbrauchsgeschichte in der eigenen Familie, ich weiß deshalb nur zu gut, wie es sich anfühlt von den eigenen Leuten verraten/verbraucht zu werden.
Du hast es gut zum Ausdruck gebracht, es fällt anschließend unglaublich schwer Menschen zu vertrauen. Mir fällt es bei Tieren leichter.
Lieber Gruß
Bea
Sorry Bea, ich habe deinen Beitrag übersehen, er ist im Spam gelandet. Danke für deinen Kommentar! LG Robert
Lieben Dank für deinen Kommentar. Tut wirklich gut hier auch mal was nicht persönlich herabsetzendes zu lesen.
Keine*r ist ohne Fehler, ich habe die Hoffnung, dass die drei Menschen heute anders reagieren würden, dass in den Strukturen, wenn nicht damals dann vielleicht jetzt eine Aufarbeitung stattfindet. Wegsehen ist aber immer einfacher. Insofern ist das Glaskugel lesen.
Heute, einen Tag nachdem ich den Blog geschrieben habe bin ich mehr als überzeugt das es richtig ist sowas auszusprechen, offen, für alle sichtbar.
Wenn wir es nicht schaffen in linken Räumen solidarisch zu sein können wir imo eh einpacken. Dann ist alles vorbei.
LG
Hallo du: Wir haben uns vor längerer Zeit einige Male über Mastodon oder besser über die föderierten Netzwerkdienste etwas ausgetauscht. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob du dich noch an mich oder mein Synonym erinnern kannst.
Nur möchte ich über diesem Wege mitteilen und zwar vollends ernst gemeint: Vollste Solidarität von meiner Seite. Für wirklich jeden einzelnen Tag und ich lese dich, über deine Berichte, deine Eindrücke und deine Haltung. Wenn ich gemeinsam auf eine antifaschistische Demonstration fahre, dann auch wirklich vollends und dann stehe ich auch genau dort für die Menschen ein, für Empathie und gegen widerlichste Menschenverachtung und Hass. Das Geschilderte ist das Gegenteil davon und da beginnen bereits die Lippenbekenntnisse. So funktioniert das nicht, liebe (Mit)menschen. So kann es nicht gehen und auch nicht sein!
Es tut mir leid, was dir widerfahren ist, Korallenherz. Und ich wünsche dir von ganzem Herzen weiterhin Kraft. Vielleicht lernen wir uns auch einmal direkt kennen? Ich würde es mir wünschen, wenn derweil die Ereignisse rund um die Pandemie das auch zulassen. Aber das ist eine andere Geschichte! In diesem Sinne: Ich lese dich und lasse mich gerne davon motivieren wie auch reflektiere ich ebenso. Danke, für jeden einzelnen Gedankensplitter.