Seit Montag, den 27. Mai, gibt es in Dortmund in Nähe der Fachhochschule ein Camp, das sich einreiht in die aktuellen Pro-Palästina Camps, die aktuell bundesweit durchgeführt werden. Zuletzt wurde eines davon in Berlin geräumt und es gab wirklich verstörende Aufnahmen der Innenräume des JFDA e. V., die ebenfalls am 27. Mai auf X veröffentlicht wurden. Dort waren eindeutig Hassbotschaften gegen Israel und offener Antisemitismus zu sehen.
Ein entsprechend mulmiges Gefühl begleitete mich auf dem Weg zum Camp. Wie würden die Leute auf mich reagieren? Würde ich sofort erkannt, vielleicht sogar bedroht werden oder Schlimmeres? Ich hatte auch alle meine Vorurteile im Gepäck. Für mich stellte sich nicht die Frage, ob ich Antisemitismus sehen würde, sondern nur, wie offen er zutage treten würde. Mit meinem Vorwissen über Demonstrationen unter diesem Motto war ich schon einiges gewohnt. Es sollte mich also nichts überraschen.
Ich wurde überrascht
Überrascht wurde ich jedoch von einer Gruppe meist junger Menschen, deren Anliegen es ist, auf die aktuellen Geschehnisse in Gaza aufmerksam zu machen. Aus der Ferne habe ich das erste Foto gemacht, das obige Titelbild, und mein Fotografieren wurde bemerkt und sofort kritisch hinterfragt. Meine Aussage, dass ich nichts veröffentliche, ohne Gesichter zu verpixeln, beruhigte nicht. Eine Frau machte ein Foto von mir und ich bat darum, dass für mich bitte die gleichen Regeln gelten. Keine Fotos. Das Bild wurde gelöscht. Im Camp selbst fiel mir ein Transparent mit der Aufschrift „Gegen Antisemitismus“ auf. Eine Irritation, die ich erst einmal so stehen ließ.
Ich wurde auch gefragt, für wen ich journalistisch tätig sei. Daraufhin erwähnte ich meinen Blog und dass ich im Netz am ehesten unter „Korallenherz“ zu finden sei. Mindestens zwei Leute zückten ihre Handys und suchten. Eine Frau flüsterte Abdul ins Ohr, dass sie eine Nachricht erhalten habe und zeigte sie ihm. Ich mag mich täuschen, denke aber, dass es um meine Person ging. Mich verstecken, so zu tun, als sei ich unvoreingenommen, war zu keiner Zeit eine Option.
Knapp drei Stunden später
Knapp drei Stunden später sollte sich das als mehr als richtig erweisen, denn was ich in dieser Zeit sah und hörte, entsprach in keiner Weise dem, was ich erwartet hatte oder was ich zuvor von anderen Camps gehört hatte. Zuerst wurde ich von „Abdul“ begrüßt, den ich wiedererkannte. Ich hatte schon einmal mit ihm gesprochen. Er nahm an einer Pro-Israel-Demo teil und stand dort mit Kufiya und klatschte zu meiner Überraschung mit allen anderen an Stellen, an denen ich es nicht erwartet hatte. Ich habe ihn nach der Demonstration angesprochen, weil es mich berührt hat.
Ich erlebte einen offenen, sehr freundlichen jungen Mann, der mir neutral gegenüberstand und direkt das Gespräch suchte. Er erinnerte sich auch an mich. Ja, das machte es für mich einfacher, aber auch für die Umstehenden, „die kennen sich doch“ oder so ähnlich. Ich blieb vorsichtig, es kamen Sprüche zu meinen Texten, die inzwischen von einigen gelesen wurden. Trotzdem redeten wir weiter, viel, aber bestimmt. Das Ergebnis war ein, wie ich finde, wirklich gutes Gespräch und die Erkenntnis, dass es mehr Verbindendes als Trennendes gibt.
Manchmal waren es 10 bis 12 Leute, die zuhörten und sich auch zu Wort meldeten. Irgendwann meinte jemand, wir könnten doch ins Zelt gehen und Kaffee oder Tee trinken. Dann wäre das Reden auch viel entspannter. Ein tolles Angebot, aber ich konnte es nicht annehmen. Ich sagte, ich fühle mich unwohl, so allein und sie in der Gruppe. Man versuchte mir das Gefühl zu nehmen, was allein schon viel über die Atmosphäre aussagt. Aber ich konnte mich nicht dazu durchringen. Man reichte mir eine Flasche Wasser.
Wir haben kein Thema ausgelassen
Wir haben kein Thema ausgelassen, Hamas, Netanjahu, 7. Oktober, Rafah. Ich konnte meine Kritik äußern, sie ihre und Abdul seine. Er erzählte mir von seiner vorsichtigen Distanz zu den Medien, sagte aber im gleichen Atemzug: „Wir brauchen sie, wir brauchen die Öffentlichkeit“. Über das Kooperationsgespräch mit der FH-Leitung im Vorfeld und auch über den beunruhigenden Gedanken, dass so ein Protestcamp negative Folgen für einzelne haben könnte.
Es gab einen Wendepunkt, als es um die Vergewaltigungen und Morde an Frauen am 7. Oktober ging. Eine Person sagte, es habe keine gegeben und fragte, was meine Quellen seien. Eine andere warf ein, die seien OK. Nicht nur ich fragte irritiert nach. Wirklich geklärt wurde es nicht. Es blieb aber eine Einzelmeinung. Als ich auf das Transparent „Feministinnen für Gaza“ im WDR-Beitrag zu sprechen kam und darauf hinwies, dass die Hamas alles sei, nur nicht feministisch, fragte er zurück, warum ich bei dem Transparent direkt an die Hamas denken würde. Eine gute Frage. Wir tun alle gut daran, unsere Verknüpfungen zu hinterfragen. Immer.
Fazit
Ich bin wirklich froh, dass ich dort war. Etwas ist hängen geblieben. Etwas, das ich bisher für unmöglich gehalten habe. Es gab dort keinen Hass auf Israel, sie haben die Hamas und die rechte Regierung in Israel kritisiert, so wie ich es auch tue. In der Aussage „Aber wer sonst kämpft für die Menschen in Palästina?“ steckt eine Essenz. Der Widerspruch, einerseits die Hamas abzulehnen, aber auch der Gedanke, dass sich sonst niemand einsetzt. „Wenn es Wahlen gibt, wird niemand die Hamas wählen“, hieß es. Ein gutes Schlusswort, wie ich finde.
Noch etwas: Das Camp liegt fast versteckt, von der Straße aus ist es nicht zu sehen. Das ist sicher kein Zufall. Dabei ist es genau die Form von Protest, die gesehen werden sollte. Wenn man davon ausgeht, dass für mich kein gutes Wetter gemacht wurde, dann ist es genau das, was unsere Zeit braucht. Raum für Diskurs. Überzeugt euch selbst. Das Camp ist bis kommenden Montag geplant.
Nach drei Stunden verabschieden wir uns mit Handschlag und eine junge Frau sagt mir im Gehen, dass ich jederzeit willkommen bin. Genau das war am Ende auch mein Gefühl und unser aller Wunsch: Der Krieg muss aufhören!
Danke. Bewegender Text gerade wo ich heute morgen wegen irgendeines Post den eine Person teilte mit Arpartheid und Genocide über die spaltende Workung und Probleme mit Israelbezogenem Antisemitismus und letztlich „verhärteten“ Fronten kam und nachdachte. Ist schön zu sehen wenn es Menschen gibt die nur unter anderer Fahne jeweils gewisse Grundhaltungen teilen ♥️🖤🇮🇱🇵🇸
Der Satz von Saint- Exupéry:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist dem Auge verborgen.“
Wir können gemeinsam Weinen über die Toten im #Gaza und die des 7. Oktober.
Uns gemeinsam Frieden wünschen, können #Netanyahu zum Teufel jagen und die #Hamas.
Wir können radikal für das Existenzrecht #Israels kämpfen. Uns wünschen, dass es ein würdiges Leben für die #Palästinenser gibt.
Es geht beides. Gemeinsam. Wenn Menschlichkeit Grundlage ist.
Diese Grundlage ist an vielen Uni Camps und auf vielen sogenannten pro-palästinensischen Demonstrationen nicht gegeben.
Wenn rote Dreiecke genutzt werden um Juden als Feind zu markieren. Judith Butler öffentlich im Zweifel stellt, dass im Oktober israelische Frauen vergewaltigt und ermordet worden.
Dann ist das Bösartigkeit, Niedertracht und nichts anderes als Antisemitismus.
Sie ist auch nicht gegeben, wenn Akademiker*innen Israel als „Apardheitsstaat “ deklarieren und das weit vor dem 7. Oktober. Eine tiefe Spaltung innerhalb der Linken vorantreiben und eine massiven Gefährdung für Juden und Jüdinnen in der BRD billigend in Kauf nehmen.
Diese Kälte. Das Schweigen am 7. Oktober.
Ist genau das Gegenteil von dem, was du von heute mitgenommen hast und mit uns teilst.
Danke, dass du dort warst. Und danke für diesen wichtigen Artikel.
Ein wirklich schöner Text und ich würde mir wünschen, dass diese Ansicht und auch die Hergehensweise das Standard-Modell für solche Camps wären.
Denn nur so kommen wir alle in dem Thema, das so schwer zu bearbeiten ist, ein kleines bisschen weiter.
❤️🖤