Die „Extremismustheorie“ anschaulich erklärt

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Allgemein / Gastbeitrag / Politik
Bild zeigt ein Hufeisenabdruck im Sand

Der großartige Robert Fietzke hat auf Twitter einen langen Thread über die „Extremismustheorie“ geschrieben. Ich bat ihn den Text zusammenzufassen und auf Facebook zu teilen und gleichzeitig habe ich seine Erlaubnis bekommen ihn hier in seinem Namen zu veröffentlichen. Warum? Weil ich den Text für wichtig halte und er anschaulich erklärt was die Nutzung des Begriffs bedeutet und warum ‚wir‘ ihn nicht nutzen sollten. Los geht’s:

Die sogenannte „Extremismustheorie“ ist einer der größten Hinderungsgründe für einen erfolgreichen Kampf gegen den Rechtsruck. Als politische Doktrin, die jedweder wissenschaftlichen Basis entbehrt, muss sie als Erfüllungsgehilfin bezeichnet werden.

Zuerst: Die als „Extremismustheorie“ bezeichnete Doktrin ist keine Theorie. Theorien sind veri- und falsifizierbar. Es handelt sich hierbei um ein behördliches Konzept aus der Geheimdienstpraxis, das auf einer politischen Doktrin basiert.

Wie funktioniert dieses Modell

Eine demokratische Mitte („freiheitlich demokratische Grundordnung“) würde von jeweils gleich gefährlichen, politischen Rändern, die jeweils noch mal in „radikal“ und „extremistisch“ abgestuft sind, angegriffen. In diesem „Hufeisenmodell“ genannten Konzept ist die demokratische Mitte der heilige Hort, der über jeden Zweifel erhaben sei, während die antidemokratischen Elemente an einen „extremistischen Rand“ imaginiert werden. Soweit zu dieser Vorstellung.

Das 1. Problem dabei ist die Akzentverschiebung. Tief in die Gesellschaft eingeschriebene Ressentiments wie Rassismus, Antisemitismus, Demokratiefeindlichkeit werden aus der Mitte ausgeklammert. Dabei existieren sie dort nicht nur, sie wurzeln dort, was alle Studien belegen. Das wiederum führt zu: Mangelndes Wissen über diese Ideologien der Ungleichwertigkeit, mangelndes Verständnis, worum es dabei im Kern geht, mangelnde Problemwahrnehmung und Sensibilität bis hin zur Leugnung und zum Abstreiten des Vorhandenseins.

Das 2. Problem: Die wissenschaftlich völlig unhaltbare Gleichsetzung von „Linksextremismus“ und „Rechtsextremismus“. Weder hinsichtlich der ideologischen Ziele noch der Gefährlichkeit, für das Leben von Menschen und das Überleben der demokratischen Verfasstheit, ist das gleich. In der Politikwissenschaft ist der Extremismusbegriff daher schon immer umstritten bzw. wird von den allermeisten Wissenschaftler*innen, wenn sie nicht gerade rechts sind wie Professor Jesse (Chemnitz), der das moderne Hufeisenmodell propagiert, abgelehnt. Die Extremismusdoktrin ist also nicht nur problematisch, sondern auch gefährlich, weil sie a) die Erfassung des Problems bei menschenfeindlichen Einstellungen erschwert b) unvergleichliche Dinge gleichsetzt und c) Antifaschismus als „Extremismus“ klassifiziert und bekämpft.

Antifaschismus braucht starke, überzeugende und vor allem viele Stimmen

Der Erfolg der Extremismusdoktrin hat inzwischen dazu geführt, dass Antifaschismus als „extremistisch“ gebrandmarkt wird. Und wenn Antifaschismus keine Mehrheits-, sondern Minderheitseinstellung mehr ist, hat es der Faschismus besonders leicht. Der Ausdruck „auf dem rechten Auge blind“ hat also ultimativ mit diesem Ordnungskonzept zu tun. Überall dort, wo extrem rechten Strukturen erfolgreich arbeiten und immer mehr Raum einnehmen, ist die Problemwahrnehmung bei Institutionen usw. am geringsten (Sachsen z.B.).

Dies gipfelte zum Beispiel in der Aussage des ehemaligen sächischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU), dass die Sachsen „immun gegen Rechtsextremismus“ seien. Diese Ignoranz ist auf das schwere Hufeisen im Kopf zurückzuführen.

Zum Schluss bleibt festzustellen, dass es hierbei, wie auch in den allermeisten anderen Auseinandersetzungen, um Diskurshoheit geht. Antifaschismus braucht starke, überzeugende und vor allem viele Stimmen, egal, wie stark der Gegenwind bläst.

Mein Thread bei Twitter, zum Nachlesen, Teilen, Mitdiskutieren.

Bildquelle: © Heike / pixelio.de

4 Kommentare

  1. Sofie Stenzhorn sagt

    Genau so funktioniert es, das Wichtige und Notwendige wird als „gefährlich“ deklariert und schon von den meisten abgelehnt.
    Wer selber denkt, merkt, dass Faschismus gefährlich ist, dass Antifaschismus diesen gefährlichen Faschismus bekämpft aber irgendwie schaffen es die Kopfwaschenden immer wieder, Begriffe umzukehren oder willkürlich zu definieren.

  2. Schuh sagt

    Hi,
    bei aller berechtigten und absolut notwendigen Kritik an der Extremismustheorie, gehört die, die in diesem Blog geäußert wird, nicht gerade zur Crème de la Crème.
    Mein Eindruck ist, die Kritik hier scheint eher auf Halbwissen über die Texte, die die Extremismustheorie begründenden, und auf ganz viel Meinung und „Weil-alle-sagen-muss-es-ja-stimmen“-Überzeugungen zu basieren.

    Sei es die hier angeklagte (vermeintliche) „Akzentverschiebung“ oder die (vermeintlich) generelle „Gleichstellung von Links- und Rechtsextremismus“ durch die Extremismustheorie.

    Hier ein Artikel, der zwar ebenfalls leider nicht an jeder Stelle in einem neutralen oder nicht-hämischen Ton geschrieben ist, aber durchaus inhaltlich stringent und nachvollziehbar auf diese populären Kritikpunkte reagiert und zusammenfasst, warum die hier im Blog vorgebrachte Kritik ziemlich unfundiert ist.
    https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2010/07/23/kritik-der-kritik-%E2%80%93-uber-die-missverstandene-extremismustheorie_4053

    Ein Artikel, der – wie ich finde – sehr viel fundierter und nachvollziehbarer Kritik an der Extremismustheorie formuliert, ist zum Beispiel dieser.
    http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/200099/kritische-anmerkungen-zur-verwendung-des-extremismuskonzepts-in-den-sozialwissenschaften

    Liebe Grüße

    • Thankmar sagt

      Hallo,
      der Zeit-Text ist sehr erhellend, es stellt sich jedoch das Problem, dass die wissenschaftlichen Hintergründe im Diskurs inzwischen keine Rolle mehr spielen, da diejenigen, die sich bewusst oder unbewusst auf die ET beziehen, ja keineswegs diesen differenzierten Blick haben oder auch nur haben wollen. Denen geht es ja gerade um die – aus der fundierten „Normativen Theorie demokratischer Verfassungsstaaten“ nicht ableitbaren – fahrlässige Gleichsetzung von links und rechts, inklusive der Normalisierung rechtsextremer Positionen durch Markierung von ehemals demokratischer (rechtstaatlicher, sozialstaatlicher) Selbstverständlichkeiten als links bzw. linksextrem (Gutmenschenbeschimpfung reloaded). Vielleicht war das vor bald 10 Jahren anders. Heute heisst das, dass die ET-Kritiker erst einmal auf dieser Ebene bleiben müssen, um entsprechend zu antworten. Für mich bleibt allerdings der „Politisierungsvorwurf“ als Punkt stehen, bei dem darauf achten werde, wie sauber dieser von ET-Kritikern formuliert wird.

      Der BpB-Text sagt das gleiche wie der Text hier, nur ausführlicher, mit dem albernen Fazit, dass „Das Extremismuskonzept [für die …] für die Praxis der Verfassungsschutzbehörden hinreichend präzise und handhabbar sein [mag]“. Es ist für Behörden in Ordnung, mit unpräzisen Werkzeugen zu arbeiten? Merkwürdiges Selbstverständnis, klingt nach vorweggenommener Kritikabwehr, die man im Text darüber selbst formuliert hat.

      Ergänzend noch der nahezu inhaltsgleiche Thread von Natascha Strobl: Natascha Strobl bei Twitter

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